Elon Musk hat Ende Oktober Twitter übernommen und sorgt seitdem für Turbulenzen und Aufruhr in der Community sowie für Unsicherheit bei vielen Social Media Verantwortlichen in Unternehmen. Rabiate HR-Maßnahmen und fragwürdiges Herumschrauben an diversen Features begleitet von schlechter, scheinbar ungesteuerter, unabgestimmter Kommunikation sind mit Musk Programm. Entsprechend vielfältig und nachvollziehbar sind Empörung, Spott und Twitter Endzeitszenarien. Kein Wunder, dass eine andere Social Media Plattform ins Spotlight rückt: Mastodon. Aber ist Mastodon eine Twitter Alternative für Unternehmen? Sollten Unternehmen Twitter verlassen und zu Mastodon wechseln? Was würden wir unseren Kunden empfehlen?
INHALT
1. Sollten Unternehmen Twitter verlassen?
Einfache Antwort: Nein. Zumindest nicht heute und allein aufgrund der jüngsten Ereignisse. Und ja, die Stimmung ist bei vielen Twitter Nutzenden am Boden. Einige reduzieren oder stoppen ihre (Werbe-) Aktivitäten, einige haben angekündigt, die Plattform zu verlassen – oder es schon getan. Elon Musk weiß das natürlich besser und hat gerade erst überraschende Zahlen getwittert. Hier empfehlen wir den Beitrag zum „Twitter Paradoxon“ von Jan Firsching/futurebiz.
Da Musk oft unkalkulierbare und gerne auch unpopuläre Entscheidungen trifft, bleibt die Twitter Zukunft ungewiss.
Dennoch ist es für Unternehmen nicht ratsam, einen etablierten und erfolgreichen Firmenaccount (inkl. Content und Followerschaft) zu löschen, ohne zu wissen, wie Twitter am Ende aussehen wird und ob bzw. unter welchen Bedingungen die eigenen Plattformaktivitäten ihren Beitrag zu Kommunikations- und Unternehmenszielen zukünftig leisten können.
Also bitte nichts überstürzen, sondern abwarten und kritisch beobachten, was in den nächsten Wochen passiert. Niemand weiß, wer sich tatsächlich ab- und (wieder) anmelden wird. Niemand weiß, wie sich die Twitter Community unter Musks Regeln und Policies künftig zusammensetzen und entwickeln wird. Warum also nicht die eigenen Aktivitäten erst einmal etwas zurückfahren statt gleich den Exit zu planen? Keinesfalls würden wir allerdings derzeit in (Paid) Kampagnen investieren. Denn auch weiß niemand, wie Twitter 2.0 weiter an Algorithmus oder Funktionalitäten dreht, wie sich Kommunikationsrichtlinien entwickeln und ob Hatespeech erneut keinerlei Schranken mehr geboten wird.
Unabhängig von den mitunter tagesaktuellen und nicht voraussehbaren Entwicklungen bei Twitter lohnt sich für Kommunikationsprofis ein Blick auf die gehypte Alternative Mastodon.
2. Was ist und wie funktioniert Mastodon?
Mastodon ist ein verteilter Microblogging-Dienst der ähnliche Funktionalitäten wie Twitter bietet und irgendwie doch ganz anders funktioniert. Besondere Merkmale: Kein Algorithmus, keine Werbung, Made in Germany, Datenschutz really matters.
Im Jahr 2016 startete Eugen Rochko das Open Source Projekt in Jena und entwickelt Mastodon mit seiner Mastodon gGmbH (Berlin) seitdem weiter. Mastodon ist als dezentrales Netzwerk konzipiert und besteht aus vielen verschiedenen Servern (sogenannte „Instanzen“), die von Privatpersonen, Vereinen oder sonstigen Stellen in eigener Verantwortung betrieben werden und miteinander interagieren können.
Anstatt nun zu wiederholen, was anderswo schon hervorragend erklärt und beleuchtet wurde, verweisen wir auf folgende lesenswerte Beiträge:
- Was ist Mastodon?
- Mastodon ist Teil des Fediverse. Was ist das Fediverse?
- Wie steige ich ein bei Mastodon? Tolles „How Toot“: Umfassende Anleitung, Tipps & Links von Sascha Pallenberg
- Überblick über bestehende Profile
- Wie finde ich meine Twitter Kontakte auf Mastodon?
- Deutschsprachige Mastodon Instanzen
- Und noch ein schöner Beitrag für Einsteiger*innen
3. Sollten Unternehmen jetzt mit Mastodon starten?
Vor allem zwei Gründe sprechen (noch) gegen einen Unternehmensaccount auf Mastodon:
- Auch wenn die Nutzerbasis seit einiger Zeit einen massiven Zuwachs verzeichnet – sie ist nicht annähernd mit der von Twitter vergleichbar. Eine kritische Anzahl an Zielgruppenvertreter*innen zu erreichen ist Stand heute kaum möglich. Dementsprechend rechnen sich Aufwand/Kosten einer Unternehmenspräsenz aktuell nicht. Das dortige Engagement ist – wie bei jedem sozialen Netzwerk – natürlich vor allem von Zweck und Zielen abhängig. Wie sich Mastodon entwickelt und für welche Unternehmen und Branchen es an eindeutiger Relevanz gewinnen kann, ist Zukunftsmusik. Möglich ist aber auch, dass die Relevanz zwar für Privatpersonen, jedoch niemals für Unternehmen und Marken wirklich steigen wird.
- Mastodon ist werbefrei, bezahlte Maßnahmen sind nicht möglich.
Mastodon Aktivitäten machen also für Unternehmen aus Reichweiten- und Sichtbarkeitsgründen keinen Sinn. Motivation für frühzeitiges Handeln kann jedoch sein, dass ein Unternehmen Image und Wahrnehmung
- als „Early Adopter“ betonen will
- oder unterstreichen möchte, dass die eigenen (Unternehmens-) Werte in deutlicher Opposition zu den aktuellen Musk Aktivitäten stehen.
Stand heute ist es für Unternehmen sinnvoll, beim Thema Mastodon abzuwarten und die Entwicklungen zu beobachten. Vielleicht steigen die Nutzer*innenzahlen weiter im derzeitigen Tempo. Im besten Fall kann die Werbefreiheit auch eine Chance für organisches Wachstum, Community Building und echte Beziehungspflege sein. Es mag diese Ausnahmen geben, Pro und Contra müssen aber unternehmensindividuell beleuchtet und abgewogen werden.
4. Tipp: Mit persönlichem Account das Mastodon Universum erkunden
Für Nutzer*innen, die beruflich Social Media Verantwortung tragen und up-to-date bleiben wollen, empfiehlt sich der Mastodon Einstieg mit einem persönlichen Profil. Ohne gleich in Aktionismus zu verfallen, ist es so möglich, Mastodon Funktionalitäten kennenzulernen, Einblicke zu gewinnen, eigene Erfahrungen zu sammeln und ein Gefühl für das Netzwerk zu entwickeln. Wer Mastodon und Mastodon Heavy User*innen/Expert*innen folgt, bleibt über Neuigkeiten und Entwicklungen auf dem Laufenden. Wer dann im Unternehmen von Vorgesetzten oder Kolleg*innen nach einer Einschätzung gefragt wird, kann fundiert berichten. Sollte zu gegebener Zeit tatsächlich einmal ein Unternehmensaccount eingerichtet und bespielt werden, betritt man als Verantwortliche*r zumindest keine Terra incognita mehr.
5. Ganz #neuhier: Herzlich willkommen bei Mastodon!
In Vorbereitung auf diesen Beitrag habe ich vergangene Woche für mich soziales Neuland betreten und mit dem Profil @EvaFoehlinger@muenchen.social einen Mastodon Account eingerichtet.
Der erste Tag war aufregend und als #neuhier wurde ich von einigen anderen Einsteiger*innen herzlich willkommen geheißen. Aber wer ist eigentlich auf Mastodon unterwegs? Einige bekannte Journalist*innen und Kommunikationsprofis, die die Plattform zum Teil schon seit Jahren nutzen, habe ich bereits getroffen. Volkswagen und Cariad haben erst kürzlich ihre Accounts angelegt. Ich bin sehr gespannt, was wir von den beiden Unternehmen in einigen Monaten an Content und Engagement sehen werden oder ob es rein beim guten Willen bleibt.
Für mich fühlt es sich angenehm unaufgeregt an in der Mastodon Welt. Und nicht nach „schneller, höher, weiter“ wie auf Twitter. Wohltuend entschleunigend. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass bis dato kaum Unternehmen anwesend sind, bezahlte Werbung nicht möglich ist und ein hektischer Wettbewerb um Herzchen, Likes & Co. scheinbar nicht stattfindet. Das Handling empfinde ich als etwas „umständlicher“ und weniger intuitiv – was bestimmt auch daran liegt, dass ich noch Mastodon Rookie bin. Da die Beiträge chronologisch angezeigt werden, sehe ich tatsächlich das, was die von mir gefolgten Accounts posten. Eine Chance für echte Follower*innenbindung. Der Timeline ohne Algorithmus sei Dank!
Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass ich für mehr Durchblick einige Zeit investieren und meine Erkundungsreise durch Mastodon auf die kommenden Feiertage verlegen muss. So „nebenbei ein bisschen“ funktioniert für mich nicht.
6. Fazit: Mastodon ist (noch) keine Twitter Alternative für Unternehmen
- Erfolgreiche Unternehmensaccounts auf Twitter sollte man nicht vorschnell löschen.
- Mastodon ist – vor allem aufgrund der noch relativ geringen Nutzerbasis – Stand heute keine Twitter Alternative für Unternehmen. Zumindest nicht in Hinblick auf Reichweite, harte KPIs, Conversions & Co.
- Mastodon könnte für bestimmte Unternehmen eine Twitter Alternative werden – das ist aber sehr organisations- und zielabhängig.
- Um eigene Erfahrungen zu sammeln und mitreden zu können, empfiehlt sich für Social Media Verantwortliche ein persönlicher Mastodon Account.
- Für Mastodon und Twitter gilt: Kein Aktionismus – beobachten, abwarten, auf dem Laufenden bleiben!
Zu guter Letzt noch zwei Link-Tipps rund ums Twitter Chaos
- Die Chronologie der jüngsten Twitter Ereignisse auf Caschys Blog
- Lars Weisbrod, Feuilleton Redakteur bei der ZEIT, macht den Podcast „Die sogenannte Gegenwart“. Die jüngste Folge dreht sich um Twitter/Musk. https://www.zeit.de/kultur/2022-11/twitter-elon-musk-feuilleton-podcast; Lars Weisbrod auf Mastodon.
Auch interessant:
- Update vom 7. Januar 2023: The Guardian -> Elon Musk drove more than a million people to Mastodon – but many aren’t sticking around
- Update vom 2. Februar 2023: Michael Praetorius -> Mastodon – das neue Twitter?
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