Wo unabhängige Medien öffentlich über den Missbrauch von Macht, Verbrechen, die Nichteinhaltung von Regeln und über Unrecht berichten, findet immer auch gesellschaftliche Kontrolle statt. Wer ausführlich und unabhängig informiert ist, kann Argumente abwägen, sich eine auf Tatsachen und Fakten basierte Meinung bilden. Pressefreiheit, ein frei geführter, gesellschaftlicher Diskurs sowie die Möglichkeit der freien Meinungsbildung und -äußerung sind von zentraler Wichtigkeit für ein offenes und faires Miteinander. Sie sind die Eckpfeiler, um zu benennen, was Unrecht ist und damit automatisch öffentliches Regulativ.
Wo Medien nicht unabhängig berichten können, wo Menschen Repression droht, wenn sie ihre Meinung äußern, wo Menschen Strafe fürchten müssen, wenn sie Fakten als solche benennen, kann keine öffentliche Kontrolle stattfinden. Unrecht kann nicht als solches benannt und verurteilt werden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist aus diesem Grund seit 1948 als Artikel 19 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert.
Unabhängige Berichterstattung kaum möglich
Derzeit sehen wir für uns offensichtliches Unrecht, das uns sprachlos macht. Umso wichtiger ist die Benennung, Bewertung und Einordnung dessen, was geschieht, und zwar aus vielfältigen Blickwinkeln – auch aus der Perspektive von „innen“.
Jedoch: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung beschäftigte seit 1956 eigene Korrespondent*innen in Moskau – bis vorgestern. Wie die FAZ, so entschieden in den vergangenen Tagen viele freie und unabhängigen Medien wie Deutsche Welle, (ARD* und ZDF*), CNN und Bloomberg aktuell nicht mehr mit eigenen Korrespondent*innen direkt aus Russland zu berichten. Die Web-Angebote von BBC und DW sind in Russland blockiert.
Die drastische Einschränkung der Pressefreiheit, Zensur, Kriminalisierung unabhängiger Berichterstattung und drohende schwere Repressalien machen die freie Ausübung journalistischer Tätigkeiten unmöglich. Den bis dato unabhängigen nationalen Medien wurde der Stecker gezogen: Das unabhängige Nachrichtenportal „Znak“, den Radiosender „Echo Moskwy“, den TV-Sender „Doschd“ gibt es aktuell nicht mehr. Die „Novaja Gazeta“, 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, berichtet nicht mehr über den Ukrainekonflikt. Facebook und Twitter – inzwischen auch Instagram (Update vom 14. März; siehe Beitrag in der ZEIT – sind blockiert, Tiktok eingeschränkt. Die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien gehen ein hohes Risiko ein und erreichen keine kritische Masse. Was bleibt ist manipulative und zynische politische Propaganda.
Pressefreiheit: Lichter in der Dunkelheit
Welche Möglichkeiten der unabhängigen Informationsbeschaffung gibt es aktuell für die Menschen vor Ort? Um es vorwegzunehmen: wenige.
- Peter Limbourg, der Intendant der Deutschen Welle, richtete sich vor einigen Tagen in einem Brief direkt an die betroffenen Nutzer. In diesem Kontext gibt die DW Tipps, wie man sich via Tor Browser, Psiphon, Signal und Co sicher und anonym im Netz bewegen kann. Wir empfehlen nachdrücklich die Lektüre des Beitrags.
- Weiterhin ist der BBC International Service via folgender Adresse über den Tor-Browser erreichbar: https://www.bbcnewsd73hkzno2ini43t4gblxvycyac5aw4gnv7t2rccijh7745uqd.onion/
Sollte der Download des Tor Browsers oder der Psiphon App über lokale App Stores nicht möglich sein, lässt sich eine E-Mail an get@psiphon3.com bzw. gettor@torproject.com senden, um einen direkten und sicheren Download-Link zu erhalten. - Der ORF hat seine vor 20 Jahren eingestellte Kurzwellenübertragung der Auslandssendungen reaktiviert: Morgenjournal (07:00 Uhr MEZ, 6155 kHz), Mittagsjournal (12.00 Uhr MEZ, 13730 kHz) und Abendjournal (18:00 Uhr MEZ, 5940 kHz) sind europaweit via Kurzwelle empfangbar.
Ebenfalls über diesen Weg empfangbar sind englischsprachige Inhalte der BBC (17:00 Uhr, 15735 kHz sowie 23:00 Uhr, 5875 kHz). Der Service richtet sich speziell an Hörer*innen in Osteuropa.
Pressefreiheit: Möglichkeiten des Engagements
Wer, wie wir, die derzeitige, drastische Einschränkung der Pressefreiheit im Osten Europas als inakzeptabel erachtet, kann etwa mit einer Spende bei Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF) einen Beitrag leisten. Ein Blick lohnt sich ebenfalls auf die neue RSF-Kampagne gegen weltweite Zensur „The Truth Wins“!
Weitere Initiativen und Möglichkeiten der Unterstützung:
- Journalisten helfen Journalisten e.V.
- netzwerk recherche
- taz Panter Stiftung
- Human Rights Watch
- Amnesty International
Auch lesenswert:
Meinung: Warum Kommunikation in Krisenzeiten sensibel sein muss
* Berichterstattung aus Russland: ARD und ZDF wieder in Moskau
Verstummt die letzte Medienstimme? (SZ vom 13. März 2022)